Zukunft braucht Erinnerung — Wiesław Wysok erinnert an die „Aktion Reinhardt“ vor 80 Jahren

Da unsere EF coronabedingt nicht an der Buchenwaldfahrt teilnehmen und somit bislang noch keine Gedenkstätte in Erinnerung an die Verbrechen des Nationalsozialismus besuchen konnte, haben wir die Chance genutzt und uns einen renommierten Historiker und Gedenkstättenpädagogen an unsere Schule geholt.

Wiesław Wysok, stellvertretender Direktor des Staatlichen Museums Majdanek, sprach in seinem Vortrag „Erinnern an die ,Aktion Reinhardt' vor 80 Jahren — Treblinka, Sobibor und Belzec“  über die Verfolgungs- und Vernichtungspolitik der Nationalsozialisten an diesen weniger bekannten polnischen Gedenkorten.

In Lublin, einem wichtigen Zentrum jüdischen Lebens in Polen, dem sogenannten „Jerusalem des Ostens“, wurde in den 1940er Jahren die Ermordung der polnischen Juden logistisch organisiert. Hier liefen die Fäden zusammen. Jeder dritte Lubliner war vor dem Zweiten Weltkrieg jüdischen Glaubens, heute gibt es nur noch eine sehr kleine jüdische Gemeinde. Dies ist eine unmittelbare Folge aus den Vorgängen zwischen 1942 und 43. 20 Monate bzw. 600 Tage dauerte die „Aktion Reinhardt“ und in dieser Zeit wurden nach Schätzungen ca. 2 Mio. polnische Juden ermordet und 500 Jahre jüdische Kultur in Polen zerstört.

Die kleinen Orte wurden gewählt, weil sie abgelegen waren, aber eine gute Bahnanbindung hatten. Damit die Schülerinnen und Schüler eine Vorstellung davon bekommen, was ein Vernichtungslager gewesen ist, führt ihnen Wysok zum einen vor Augen, dass z.B.  in Belzec von 500 000 Personen gerade einmal zwei Personen überlebt haben: Rudolf Reder und Chaim Hirschmann, die im sogenannten Sonderkommando gearbeitet haben und als einzige inhaftierte Zeitzeugen Zeugnis von diesem Lager ablegen konnten. Zum anderen führt er aus, dass die Ankömmlinge im Schnitt nur einige hundert Minuten überlebten, bevor sie in den Erstickungskammern starben.

Wysok berichtet auch davon, dass sich die Menschen versucht haben zu wehren. So kam es am 14. Oktober 1943 in Sobibor zu einem Aufstand, während dem ca. 300 Menschen aus dem Lager herausdrängten. Sehr viele  kamen aber durch das verminte Gelände um das Lager herum sowie durch die „Judenjagd“ der SS ums Leben, noch bevor sie den schützenden Wald erreichen konnten.

Die Lager wurden noch während des Krieges von den Deutschen zerstört, um die Vernichtungsaktion geheim zu halten und deren Spuren zu beseitigen. Heute forscht man aber intensiv, findet Spuren von Gebäudegrundrissen oder persönliche Gegenstände der Opfer der Shoah oder ihrer Täter und im letzten Jahr sind sogar Fotos von einem der Täter in Deutschland aufgetaucht. Johann Niemanns unerlaubt angefertigten Fotos ermöglichen es, Einblick zu nehmen in den Lageralltag in Sobibor.

Die abschließenden Fragen der Schüler nach den Ursachen für die geringe Bekanntheit dieser Orte, nach dem Wissen der Deutschen und Polen über die Vorgänge in den Lagern, nach dem Verbleib des Besitzes der polnischen Juden sowie nach den Konsequenzen des Ukrainekrieges für die an die Ukraine grenzenden Gedenkorte wurden von Herrn Wysok differenziert und kundig beantwortet.

Er machte deutlich, dass die Erinnerung an diese Vorgänge auch wachgehalten werden müsse, um dem Unmenschlichen von Krieg und Vernichtung, Menschlichkeit und Mitgefühl entgegenzusetzen, so wie er dies momentan in seinem Land Polen gegenüber den ukrainischen Flüchtlingen erlebe, die nahezu alle in Privathaushalten aufgenommen worden seien.

Wir danken Wiesław Wysok für seinen interessanten Vortrag und Peter Junge-Wentrup, unserem ehemaligen Lehrer Leander Vierschilling sowie dem Verein „Gemeinsam Erinnern für eine Europäische Zukunft“, dass den Schülerinnen und Schülern unserer Schule diese interessante Begegnung ermöglicht wurde.

 

STR