Zwangsarbeit in Mecklenbeck?

Ungläubig reagierte der Geschichtskurs der EF im Dezember 2022, als wir begannen, uns mit dem Thema „Zwangsarbeit“ während der Unterrichtsreihe „Fremdsein in weltgeschichtlicher Perspektive“ auseinandersetzten. Aber tatsächlich gab es dieses und eine Reihe weiterer Lager dieser Art in und um Münster.

Foto: Westfälische Nachrichten/ann

Die Erinnerung daran wachzuhalten, hat sich vor allem die Bezirksvertretung West unter Federführung von Peter Wolfgarten zur Aufgabe gemacht und sich für die Errichtung einer Informationstafel am Spielplatz Goldenbergstraße eingesetzt. 

Am 29.03.2023 war es schließlich so weit: Die Erinnerungsstele in Mecklenbeck konnte im Beisein von Philipp Erdmann vom Stadtarchiv Münster und den Initiator*innen und Unterstützer*innen aus Mecklenbeck eingeweiht werden. Neben Peter Wolfgarten hielten Frida, Ama und Leon die folgende Rede, die das Ergebnis ihrer Auseinandersetzung mit dem Thema eindrucksvoll widerspiegelt:  

 

„Wir gedenken heute all der Menschen, die hier in Mecklenbeck, in Münster, in ganz Europa und weltweit unter dem Schrecken des Nationalsozialismus leiden mussten.  

 

Mit dem Voranschreiten des Zweiten Weltkriegs wurden immer mehr Zivilarbeiter in den eroberten Gebieten angeworben, Kriegsgefangene gezwungen und zunehmend auch Zivilpersonen zwangsrekrutiert und verschleppt, um dem steigenden Arbeitskräftemangel entgegenzuwirken und das NS-Regime mit seiner Rüstungspolitik am Laufen zu halten. 

Aus diesem Grund wurde auch in Mecklenbeck ein Zwangsarbeiterlager der Deutschen Arbeitsfront an der Weseler Straße errichtet. Von 1939 bis 1945 lebten hier durchschnittlich 700-800 Menschen aus Polen, der Slowakei, Frankreich, Belgien, den Niederlanden, der Sowjetunion und ab 1944 auch aus Italien in 15 Holzbaracken, geplagt von schwerer körperlicher Arbeit und einer schlechten Versorgung. So gab es gerade einmal vier Aborte, auf denen diese Menge an Menschen ihre Notdurft verrichten konnten. Sie wurden in landwirtschaftlichen oder handwerklichen Betrieben eingesetzt, mussten nach Bombenangriffen Leichen bergen und Münsteraner*innen konnten sie zur Trümmerentsorgung anfordern.  

Es gab keine Einzäunung und keine Wachen, aber eine zivile deutsche Lagerleitung. Warum blieben die Menschen dennoch in den Lagern? Sie mussten sich ausweisen können oder je nach Status in der Öffentlichkeit Kennzeichen tragen, um als OSTarbeiterinnen und Ostarbeiter ihre Herkunft kenntlich zu machen. Wer sich nicht ausweisen konnte, kam ins Konzentrationslager und dort herrschten noch einmal ganz andere Zustände.  

Außerdem wurde die Münsteraner Bürgerschaft durch öffentliche Plakate vor sogenannten „Fremdvölkischen“ gewarnt und in dieser Misstrauens- und Denunziationskultur der Diktatur gab es für keinen Rückzugsräume.  Zwangsarbeit gehörte also zum Alltagsbild und auch Misshandlungen waren öffentlich sichtbar. Als wir uns als Geschichtskurs mit dem Thema der Zwangsarbeit vor Ort auseinandergesetzt haben, fanden wir es deshalb besonders erschreckend, dass dies von vielen hingenommen und sogar ausgenutzt wurde.  

 

Wir gedenken heute all der Menschen, die hier in Mecklenbeck, in Münster, in ganz Europa und weltweit unter dem Schrecken des Nationalsozialismus leiden mussten.  

 

Am 2. April 1945 haben britische und amerikanische Truppen Münster besetzt und die Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter sowie deren Kinder aus den etwa 180 belegten Unterbringungsorten in und um Münster befreit.  Viele wollten in ihre Heimat zurückkehren, jedoch musste dies in einer Zeit des Chaos, Zusammenbruchs und unvorstellbarer Flüchtlingsströme erst einmal organisiert werden. Dementsprechend gab es Lager für ca. 5000 sogenannte „Displaced Persons“ am Hohen Heckenweg und in Mecklenbeck. In den Lagern konnten die Menschen unterkommen und mussten verpflegt werden. Das weitere Zusammenleben zwischen den DPs und den Deutschen, ihren ehemaligen Unterdrückern, war nicht selten von Rachegefühlen auf der einen, Ängsten, Misstrauen und Missgunst auf der anderen Seite geprägt. Zwangsarbeiter*innen, die in die Sowjetunion zurückkehrten, erfuhren nicht zuletzt in ihrer Heimat Diskriminierung und Ausgrenzung, weil sie als Unterstützer des Faschismus angesehen wurden. 

 

Wir gedenken heute all der Menschen, die hier in Mecklenbeck, in Münster, in ganz Europa und weltweit unter den Schrecken des Nationalsozialismus leiden mussten.  

 

Jede und jeder einzelne ermordete, versklavte und seiner Menschlichkeit beraubte Mensch verdient von uns eine Erinnerung und gleichzeitig auch ein Versprechen. Ein Versprechen, das Geschehene nicht noch einmal geschehen zu lassen. Es ist in meinen Augen unsere Pflicht, uns zu erinnern und unser Bewusstsein zu schärfen, um eine erneute Verbreitung von rechtsextremem Gedankengut zu verhindern. Im Jahr 2023 sind trotz aller Aufarbeitung des Nationalsozialismus die Schicksale zahlreicher Opfer weitestgehend unbekannt. UND noch heute gibt es Hetze, Hass und Rassismus in der deutschen Politik. Die populistische Vorgehensweise von Rechtsextremen weist immer wieder erschreckende Parallelen zur Propaganda der NS-Diktatur auf. Deswegen ist es umso wichtiger eben keinen „Schlussstrich“ zu ziehen, sondern Kinder und Jugendliche früh für das Thema zu sensibilisieren.  

Hierbei sollte es fest im Lehrplan verankert sein, sich nicht nur mit den europaweiten, sondern auch mit den lokalen Auswirkungen des Nationalsozialismus auseinanderzusetzen, um zu verstehen, dass die Gräueltaten der Nazis nicht irgendwo, sondern genau hier vor unser aller Haustür passiert sind. Sie sind kein langweiliges Thema im Geschichtsunterricht, bei dem man Zahlen und Daten auswendig lernt, sondern ein Thema, das den Menschen nahe gehen sollte und sie warnen muss. Genau dafür brauchen wir Erinnerungsstelen wie diese, die aus der vagen Vorstellung, greifbare Bilder machen. Denn die Opfer des Nationalsozialismus sind keine anonymen Zahlen, sondern sie haben Namen. Sie hatten ein Leben davor und wenn sie überleben konnten, dann hatten oder haben sie ein von den Traumata dieser Zeit belastetes Leben danach.  

Wir leben inzwischen im Jahr 2023 und nur noch wenige Zeitzeug*innen können von ihren Erfahrungen berichten. Auch deswegen brauchen wir neue Formen der Erinnerung, derer sich die nachfolgenden Generationen annehmen können.“ 

 

Auf dieser Stele befindet sich ein QR-Code, der zu einer Homepage führt, auf der in diesem Sinne immer wieder neue Projektarbeiten von Friedensschüler*innen, die sich mit der Thematik befassen, hinterlegt werden können, um so die Erinnerung lebendig zu halten. 

STR