30 Jahre deutsche Einheit

Der 9. Oktober 1989 war der Tag, an dem sich in Leipzig entschied, dass die demokratischen Kräfte der Opposition gegen die bis zu den „Zähnen bewaffnete Staatsmacht“ der DDR bestehen konnte.

Ca. 70.000 Menschen hatten sich zur Montagsdemonstration versammelt und trotzten den Gerüchten und den Beobachtungen um aufziehende Panzer in der Stadt. Sie hielten den Machthabern ihr „Wir sind das Volk“ und „Stasi in den Tagebau“ oder andere Parolen entgegen, um das Unrechtssystem der DDR zu demaskieren und gemeinsam für eine andere, bessere Zukunft zu kämpfen.

31 Jahre später gedachte die Friedensschule mit einer Plenumsveranstaltung für die Q1 dieses Tages und beging so das dreißigjährige Jubiläum der deutschen Einheit.

 

Nach einer freundlichen Begrüßung durch den Schulleiter und die Organisatorin Frau Brodde, führte der von dem Moderator Malte Bock (Konrad-Adenauer-Stiftung) vorgestellte Historiker Dr. Christopher Beckmann uns in einem Schnelldurchlauf durch die rasante Wendezeit 1989/90. Er benannte wichtige außen- und innenpolitische Faktoren, die diese ermöglichten und benannte mit Johannes Paul II., Michael Gorbatschow und Helmut Kohl Persönlichkeiten der Zeit, die eine gewaltfreie Zeit des Umbruchs mit ihrer Haltung und ihrer Politik prägten.

Als wesentliche Stationen des Umbruchs arbeitete Beckmann die Reformpolitik Gorbatschows heraus, die ihn zum Hoffnungsträger der Opposition und zum Schreckgespenst der DDR-Regierung werden ließen. Der Wahlbetrug bei der Kommunalwahl, die über Prag und Ungarn flüchtenden DDR-Bürger, die Montagsdemonstrationen, das Reisegesetz der DDR und das 10-Punkte-Programm Kohls sowie die anschließenden außenpolitischen Verhandlungen waren weitere Etappen auf diesem viel schneller als erwartet eintretenden Beitrittsprozess der DDR zur Bundesrepublik Deutschland.

„Auf die Mühen der Berge, folgen die Mühen der Ebene“ – mit diesem Brechtzitat leitete Beckmann über zu dem Prozess, denn er als Ringen um die „innere Einheit einer Nation“ charakterisiert und betont ganz besonders, welche hohe Anpassungsleistung dies von allen Menschen aus der ehemaligen DDR erforderte. Während nämlich im Westen vermeintlich alles einfach so weiterging, mussten die Menschen der DDR lernen, im neuen politischen und wirtschaftlichen System anzukommen. Denn 40 Jahre deutsche Teilung hatten ihre Spuren hinterlassen.

Welche Spuren das waren, davon zeugten das Ehepaar Regina und Karl-Heinz Labahn und der Schritsteller Michael G. Fritz.
Herr Labahn eckte als Elektromonteur mit dem System an, als er sich weigerte in die SED einzutreten. Er wurde dann in einen Schweinemastbetrieb versetzt und musste hier die Ställe ausmisten. Nachdem das Ehepaar Labahn außerdem einen Ausreiseantrag in den Westen gestellt hatte, schlug der Staat mit aller Härte zu und nahm ihnen ihre drei Kinder weg. Die Kinder wurden in staatliche Erziehungsheime gegeben und die Eltern für tot erklärt. Nach sechs Jahren der Trennung und Haftzeiten in DDR-Gefängnissen sowie der alleinigen Ausreise in den Westen, konnten die Labahns ihre Kinder direkt nach dem Fall der Mauer wieder zu sich nehmen. Es dauerte allerdings lange, bis sie als Familie wieder zusammenfanden und das Trauma dieser Trennung durch den Staat wirkt bis heute fort. Zwei Appelle gab Frau Labahn den Schülerinnen und Schülern mit auf den Weg: 1. „Hinterfragt alles, damit es nie wieder eine Diktatur auf deutschem Boden gibt“ und 2. „Man darf die Verbrechen einer Diktatur nie, nie vergessen.“

Eindrucksvoll war für die Schülerinnen und Schüler auch zu hören, welche Karrieren die Menschen gemacht haben, die den Labahns Unrecht angetan haben, ob es nun die Gefängniswärterin aus dem Frauengefängnis Hoheneck oder der Leiter des Kinderheims auf Rügen war, in dem der jüngste Sohn untergebracht war. Beide und auch andere haben in der Nachwendezeit Karriere gemacht und wollen heute nach Möglichkeit nicht mehr mit ihren Tätigkeiten und Taten, die sie während der DDR ausgeübt und begangen haben, konfrontiert werden.

Auch der Schriftsteller Michael G. Fritz eckte an. Dialektischer Widerspruch, den Marx als Denkfigur geprägt und befürwortet hat, war im real existierenden Sozialismus nicht erwünscht und so musste Fritz auch Karriereumwege in der DDR gehen und wurde von der Stasi erfasst und beobachtet, bis er 1986 ein dreimal durch die Zensur gegangenes erstes Buch veröffentlichen konnte. Er berichtet davon, welchen hohen Stellenwert die Literatur in der DDR hatte, denn hier war es möglich zwischen den Zeilen zu lesen und politische Botschaften literarisch, lyrisch zu verpacken.

Dass viele Schriftsteller nach der Wende in der Bedeutungslosigkeit versanken, ist auch ein schmerzliches und nach Meinung von Fritz bislang unterbelichtetes Kapitel der Geschichte der deutschen Einheit.

Fritz las abschließend einen Auszug aus seinem Gegenwartsroman im geteilten und vereinten Deutschland „Auffliegende Papageien“ vor, in dem die Frage, in welchen Kanälen das Devisenvermögen der DDR gelandet ist, Stoff für einen Krimi bietet.

Ein herzlicher Dank geht an die Konrad-Adenauer-Stiftung, die diese Veranstaltung ermöglichte.

Claudia Strieter